Türchen 20
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Sky - Sweetvalentines Milk & Honey
Kapitel 20
„Lea! Da bist du ja endlich!“, rief Jochen aufgeregt, als er aus dem Haus kam und den Kombi neben dem Holzschuppen entdeckte. Er lief ihr erleichtert entgegen und umarmte sie. „Wo warst du denn nur so lange? Wir waren so in Sorge um dich.“ „Entschuldige, Jochen“, sagte sie und zeigte hinüber zu ihrem Wage. „Aber du wirst nicht glauben, was ich für eine Überraschung mitgebracht habe.“ „Meine Güte, Lea!“, sagte Jochen aufgeregt, ohne ihr zugehört zu haben. „Wie lange haben wir uns nicht gesehen?“ Er strahlte über sein ganzes Gesicht. „Rosalie ist noch im Stall bei den Ziegen. Sei nicht böse. Aber ich musste ihr versprechen, dass ich ihr sofort Bescheid sage, wenn du da bist. Warte eine Sekunde, ja, Lea? Ich bin sofort zurück!“, rief er ruhelos, während er bereits davoneilte und hinter dem Haus verschwand. Lea ging zum Auto zurück und sah durch die Heckscheibe. Yukon war auf der Fahrt tatsächlich eingeschlafen. Und er schlief noch immer tief und fest. Sie öffnete die Ladeklappe und legte ihm eine Decke über. Er ließ es sich gern gefallen. „Schlaf dich aus, mein Schöner!“, flüsterte sie und ließ die Heckklappe leise ins Schloss fallen. Sie lief ein paar Schritte über den Hof. Ungewollt erinnerte sie sich an den Tag, an dem sie den Rosenhof verlassen hatte. Es war im Frühjahr. Die Rapsfelder hatten bereits geblüht und die ganze Umgebung in einen unverwechselbaren Duft getaucht. Rosalie hatte damals weinend am Tor gestanden. „Du kommst doch wieder, nicht wahr?“, hatte sie Lea zum Abschied gefragt, und sie hatte genickt um es Rosalie nicht noch schwerer zu machen. Lea drehte sich um und sah hinüber zu dem idyllischen kleinen Fachwerkhäuschen am Rande des Rosenhofes. Es war viele Jahre lang ihr Zuhause gewesen. Sie spürte, wie die Wehmut schwer auf ihr lastete. Was würde Hannes wohl sagen, wenn sie plötzlich vor ihm stünde? Sie müsste ihm umgehend erklären, dass sie gar nicht vorgehabt hatte, hier her zu kommen, dass sie im alten Krug hatte übernachten wollen, dass der aber gerade umgebaut würde. Sie würde ihm sagen, dass sie… „Lea?“ unterbrach plötzlich seine vertraute Stimme ihre Überlegungen. „Lea! Bist du wirklich hier, oder träume ich schon wieder?“, fragte er leise. Lea hielt den Atem an. Ihre Hände fingen an zu zittern, und der Boden schien sich unter ihren Füßen aufzulösen. Sie drehte sich langsam zu ihm um. Und sie hatte das Gefühl, die Zeit würde für einen Moment lang still stehen. Alle Gedanken waren wie ausgelöscht. Nichts von dem, was sie hatte sagen wollen, war noch gegenwärtig. Alle Erklärungen lösten sich auf in einem Wirbel aus Schwindel und Herzklopfen. Zögerlich ging sie auf ihn zu. Nach Monaten der Sehnsucht standen sie sich wieder gegenüber. Sie sahen sich an und reichten sich die Hände. Wortlos und auffallend lange. Genau wie damals, als sie sich zum ersten Mal hier auf dem Rosenhof begegnet waren. „Wie heißen sie?“, fragte Hannes, genau, wie der es damals gefragt hatte, und wie damals sah Lea ihn an und lächelte. „Lea, - Lea Bennrig!“, Antwortete sie und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. „Jetzt müsste eigentlich Rosalie mit dem Kräutertee kommen oder?“, Fragte er und wischte ihr liebevoll die Tränen von der Wange. Lea nickte. Auch sie konnte sich noch gut an jede Einzelheit ihrer allerersten Begegnung erinnern. „Wieso bist du hier?“, fragte er sie, nachdem sie sich einen Moment lang schweigend gegenüber gestanden hatten. „Ich dachte, du könntest vielleicht Hilfe brauchen!“, Schaffte sie es endlich, den ersten Satz heraus zu bringen. Hannes sah sie fragend an. „Jochen hat mich angerufen!“, erklärte sie. „Er hat mir von dem Hund auf dem Eppesberg erzählt, und dass er verschwunden ist und…!“ „Du bist also seinetwegen gekommen?“, unterbrach er sie und konnte die Enttäuschung in seiner Stimme nicht verbergen. „Du wirst ihn nicht kriegen. Er ist anders. Ich kann es nicht beschreiben. Aber er hat kein normales Angstverhalten. Er hat überhaupt kein normales Verhalten. Er ist absolut nicht einschätzbar.“ Hannes stand vor ihr und sah sie mit seinen himmelblauen Augen an. Seine blonden Haare waren zerzaust, und unter dem weißen Kittel lugte wie immer eine seiner abgetragenen Jeans hervor. Lea hätte ihn in diesem Moment am liebsten ganz fest umarmt und ihn nie wieder losgelassen. Stattdessen bemühte sie sich, beim Thema zu bleiben. „Hannes, ich würde dir gerne etwas zeigen!“, sagte sie nervös, da ihr das Herz bis zum Hals schlug, und deutete auf ihren alten Kombi, der hinter dem Holzschuppen stand. „Ich bin über den Eppesberg gekommen und… Naja, wie soll ich dir das jetzt in einem Satz erklären? Er saß da, als hätte er auf mich gewartet.“ Hannes zog die Stirn in Falten. „Wer saß da, als hätte er auf dich gewartet?“, fragte er. Genau in diesem Moment kamen Jochen und Rosalie über den Hof gelaufen. „Lea, wie hab ich dich vermisst!“, rief Rosalie mit Freudentränen in den Augen und drückte sie so fest, dass ihr fast die Luft ausblieb. „Lea! Wer saß da, als hätte er auf dich gewartet?“, fragte Hannes noch einmal, unbeeindruckt von Rosalies Begrüßungszeremonie. „Du willst mir doch jetzt nicht sagen… Nein. Das willst du nicht!“ Er zögerte einen Augenblick und musterte ihr Gesicht. „Du willst es doch sagen! Ja? --- Nein! Das ist ja ganz unmöglich.“
Jochen und Rosalie sahen sich schweigend an. Lea zog die Schultern hoch und zeigte hinüber zu ihrem Wagen. „Er liegt auf meiner Ladefläche und schläft!“ Hannes fuhr sich mit den Händen durch die ohnehin schon zerzausten Haare und schüttelte verwirrt den Kopf. „Das ist unmöglich, Lea. Das ist völlig unmöglich. Das kann nicht sein.“ „Doch Hannes! Es ist so. Yukon liegt auf meiner Ladefläche, und er hat eine ziemlich schlimme Verletzung an seinem Hinterlauf. Wenn du willst, bring ich ihn in die Praxis, damit du sie dir ansehen kannst.“ Hannes sah Lea ungläubig an. „Sag mal, Lea, reden wir hier überhaupt von dem selben Hund? Der Hund, den ich meine, den kann man sich nicht mal eben in der Praxis ansehen, und der heißt auch nicht Yukon. Der heißt einfach nur Wolf, weil er nämlich aussieht wie einer, und weil er niemanden in seine Nähe lässt.“ Lea musste lachen. „Er heißt einfach nur Wolf, ja?“ „Ja, er heißt einfach nur Wolf!“, wiederholte er und fügte in einem Atemzug schmunzelnd hinzu. „Und ich habe dich wahnsinnig vermisst.“ Er nahm sie in den Arm und hielt sie einen Moment lang ganz fest. Dann drehte er sich um und ging zur Praxis. „Jochen!“, rief er entschlossen, „komm! Lea bringt Yukon hinein.“ Auf dem Weg zur Praxis drehte er sich noch einmal zu Lea um. „Wie lange bleibst du?“, fragte er. Und sie antwortete: „Nur bis morgen früh.“
***
Fortsetzung folgt!
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