Fenêtre 11
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Sky - Sweetvalentines One & Only
Kapitel 11
Hannes war todmüde. Er lag auf dem Sofa und beobachtete die Schneeflocken vor dem Fenster. Seit über einer Woche fuhr nun jeden Tag zwischen der Früh- und Abendsprechstunde auf den Eppesberg, um den Wolf, wie er ihn mittlerweile liebevoll nannte, mit Futter und trockenem Stroh zu versorgen. Der Neuschnee der letzten Tage hatte weder die Fahrt auf den Eppesberg noch den Fußweg über das Feld einfacher gemacht, und mit jedem Tag, der verging, verlor Hannes ein Stückchen mehr von seiner Überzeugung, sich dem Hund auf diese Weise vertraut machen zu können. „ Warum betäubst du ihn denn nicht einfach?“, hatte Jens gefragt, als sie gemeinsam den unterstand aufgebaut hatten. „ Du könntest doch ein Schlafmittel ins Futter mischen und ihn dann ganz einfach mitnehmen.“ Aber das Risiko war Hannes bisher zu groß gewesen. „ Was ist, wenn das Mittel nicht sofort wirkt und er davon läuft?“, hatte er Jens geantwortet. „ Ein Schreck würde reichen und er wäre im Dickicht verschwunden. Und wenn er dann irgendwo versteckt einschläft und wir ihn nicht finden, wäre er verloren. Bei diesem Wetter hätte er keine Chance. Er würde definitiv erfrieren.“
Jochen hatte daraufhin vorgeschlagen, einen Käfig mit Falltür direkt neben der Eiche aufzustellen. An die tägliche Futterration war der Hund mittlerweile gewöhnt. Auch die Zeit, zu der er täglich erschien, war immer die gleiche. Manchmal kam es Hannes richtig gespenstisch vor, wenn er pünktliche um 14 Uhr wie aus dem Nichts auftauchte und ihn aus immer gleichbleibender Entfernung dabei beobachtete, wie er das Futter auslegte. Ein Käfig mit Falltür wäre eine realistische Chance, hatte Hannes sich gedacht. Der Hund würde die Box betreten, um an das gewohnte Futter zu gelangen, die Falltür würde den Käfig hinter ihm schließen, und sie könnten ihn mitsamt der Gitterbox mitnehmen. Hannes hatte dem Vorschlag zugestimmt. „ Auf einen Versuch muss ich es ankommen lassen!“, hatte er gesagt. „ Auf Dauer fehlt mir einfach die Zeit, den Wolf täglich auf dem Eppersberg zu versorgen.“ Gemeinsam mit Jochen hatte er also am zweiten Adventssonntag gegen Mittag einen Falltürkäfig neben der Eiche aufgebaut und mit Futter bestückt. Bis zum Nachmittag hatten sie dann bei minus acht Grad auf den nahegelegenen Hochsitz gewartet. Hannes hatte den Käfig auf keinen Fall unbeaufsichtigt lassen wollen, um den Hund nicht unnötig lange in dieser engen Gefangenschaft der unerträglichen Kälte auszusetzten. Sobald sich die Falltür hinter ihm geschlossen hätte, wollte er ihn umgehend zum Rosenhof bringen. Als Wolf eine Stunde später als sonst aufgetaucht war, hatte er den Käfig sofort entdeckt. Unruhig war er am Waldrand auf und ab gelaufen und hatte sich immer wieder irritiert hingesetzt, um sich nervös in alle Richtungen umzusehen. Er hatte eine endlose Geduld bewiesen. Über eine Stunde war er in einem weiten Kreis um die Box herumgeschlichen, hatte sich genähert und wieder entfernt. Dann war er plötzlich nicht mehr zu sehen gewesen. Genauso schnell, wie er jeden Tag wie aus dem Nichts auftauchte, war er an diesem Tag auch wieder verschwunden. Nach zwei weiteren ähnlich verlaufenden Tagen hatten sie frustriert die Gitterbox wieder abtransportiert, um den Hund die Bindung an diesen Ort nicht zu nehmen.
Hannes zog sich die Wolldecke von der Sofalehne, schloss die Augen und dachte an Lea. Ob sie gewusst hätte, was er tun sollte? Gemeinsam hatten sie einmal einen verwilderten Hund eingefangen. Eine ganze Nacht lang hatten sie auf einer Wiese unter freiem Himmel verbracht, bis der kleine Kerl endlich am Morgen aufgetaucht war. Es waren viele Jahre seit dem vergangen. Seit dieser sternenklaren Nacht, mitten im Hochsommer. Lea wohnte damals noch im Dorf. Er hatte sie in dieser Nacht ganz fest in seinen Armen gehalten und ihr gesagt, dass er Angst habe, sie irgendwann zu verlieren. Sie hatte gelacht und gesagt, dass man darüber nicht nachdenkt, wenn man sich gerade erst ineinander verliebt hat. Wenige Monate später hatte er einen Brief auf seinen Schreibtisch gefunden:
„ Hannes, wenn du einem anderen Herzen so nah kommst, dass du das Gefühl hast, eure Seelen würden einander berühren, dann darfst du dir sicher sein, dass ein Engel seine Finger im Spiel hat und du für immer mit diesem Menschen verbunden sein wirst.“
Hannes lächelte traurig und schickte seine Gedanken auf eine weite Reise.
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Fortsetzung folgt!
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